Werk der Woche

Uraufführung in Reutlingen: Adagio von Fazil Say zum Jubiläum der Württembergischen Philharmonie

Am 16. November bringt die Württembergische Philharmonie Reutlingen Adagio von Fazil Say zur Uraufführung. Unter der Leitung des ehemaligen Chefdirigenten Ola Rudner erklingt damit ein neues Orchesterwerk, das Say dem Orchester zum 75jährigen Bestehen – und bereits unter dem Eindruck der Coronakrise – komponierte.

Das Konzert ist über den unten stehenden Link ab 20:15 im Livestream zu sehen. Sie können die Partitur des Stücks auf unserer Website herunterladen und beim Hören mitlesen.

Werk der Woche – Gerald Barry: No People.

Am 18. Oktober bringen das Ensemble Musikfabrik und Dirigent Mariano Chiacchiarini im Rahmen der Donaueschinger Musiktage Gerald Barrys neues Werk No People. für 13 Instrumente zur Uraufführung. Die Komposition wurde vom SWR in Auftrag gegeben und ist eine Fassung eines gleichnamigen früheren Werks von Barry. 



Hinweis der Redaktion:
Nach Veröffentlichung dieses Artikels wurden die Donaueschinger Musiktage 2020 leider abgesagt. Wir möchten Ihnen dieses interessante Werk dennoch vorstellen. 









Der Titel, No People., bezieht sich auf den Gedichtszyklus New Impressions of Africa des Surrealisten Raymond Roussel von 1932. Für dessen Erstveröffentlichung ließ der Dichter 59 Illustrationen anfertigen. Den Auftrag dazu erhielt der Zeichner Henri-Achille Zo über eine Detektei, sodass er von seinem eigentlichen Auftraggeber nichts wissen konnte und ohne Kenntnis der Gedichte. Ihm wurden nur simple Anweisungen übergeben, etwa “Nächtliche Landschaft. Stark sternenbedeckter Himmel mit dünner Mondsichel. (Keine Personen.)”, woraufhin die Zeichnungen entstanden. 
Zusammengenommen haben die gewöhnlichen Alltagszeichnungen eine Befremdlichkeit, die sie vielleicht nie erreicht hätten, wenn der Illustrator die Hintergründe und Texte gekannt hätte. Diese Gegenüberstellung der Unwissenheiten - Gedichten und Zeichnungen - gibt dem fertigen Werk seine bizarre Qualität. (Gerald Barry)

No People. wird bei am Uraufführungstag in Donaueschingen zweimal gespielt, um 11 Uhr und um 15 Uhr, um einem möglichst großen Publikum die Möglichkeit zu geben, das Konzert zu hören.

Work of the Week – Gerald Barry: No People.

On 18 October at the Donaueschingen Festival, Ensemble Musikfabrik and with conductor Mariano Chiacchiarini will give the world premiere of Gerald Barry's No People. for 13 instruments. The work which has been commissioned by SWR, draws on Barry's earlier work by the same name.



Please note:
After the publication of this article, the Donaueschingen Festival was cancelled due to the COVID-19 pandemic. Nevertheless, we would like to invite you to learn about this interesting composition.









The title, No People. is taken from surrealist Raymond Roussel's 1932 poem New Impressions of Africa for which he commissioned 59 drawings to illustrate the text. The commission was given to the artist via a detective agency - the artist, not knowing who the commissioner was and having never seen the texts, would receive simple instructions such as 'Nocturnal Landscape. Very starry sky with a thin crescent of moon. (No people.)' from which to realize the drawing.
“together, the ordinary everyday drawings take on a strangeness they might otherwise not have had if the artist had drawn on with the poem's text in front of him. It's the juxtaposition of both unknowns - poem/drawings - that give the final work its strange quality.” - Gerald Barry

No People. will be performed twice at the festival at 11.00 and 15.00 on 18 October allowing for as many attendees as possible to hear the music.

Werk der Woche – Viktor Ullmann: Der Kaiser von Atlantis

Viktor Ullmanns einaktige Kammeroper Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung feiert in dieser Woche an gleich zwei Theatern Premiere: Ab dem 26. September 2020 ist sie am Landestheater Neustrelitz zu sehen, ab dem 27. September an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf. Mit seiner kleinen Besetzung und der erschütternden Thematik ist Ullmanns Meisterwerk das Stück der Stunde.

Ein grausamer Herrscher kündigt den Krieg aller gegen alle an. Doch der Tod setzt dem Massenmorden ein Ende, indem er seinen Dienst verweigert: Nun leben alle Menschen ewig. So ist der Kaiser zwar entmachtet, aber die Menschen sehnen sich nach Erlösung vom Schmerz des Lebens. Nur der freiwillige Tod des Kaisers kann dem Tod seine eigentliche Bestimmung zurückgeben.

Viktor Ullmann – Der Kaiser von Atlantis: ein szenisches Mahnmal


Ullmann komponierte diese Oper 1943 während seiner Internierung im KZ Theresienstadt. Das Kammerensemble des Lagers sollte das Werk spielen, die Uraufführung wurde jedoch nach der Generalprobe verboten. Ein Jahr später übergab der Komponist sein Autograph und das Textbuch einem Freund, bevor er nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. So konnte Ullmanns Musik gerettet werden.
Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben, meist um den Bedürfnissen und Wünschen von Dirigenten, Regisseuren, Pianisten, Sängern und damit den Bedürfnissen der Freizeitgestaltung des Ghettos zu genügen […]. Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war; und ich bin überzeugt davon, dass alle, die bestrebt waren, in Leben und Kunst die Form dem widerstrebenden Stoffe abzuringen, mir Recht geben werden. – Viktor Ullmann

In Neustrelitz sind zunächst drei Aufführungen von Der Kaiser von Atlantis bis zum 24. Oktober geplant, in Düsseldorf ist das Stück neun Mal bis zum 19. November zu sehen. Von dieser Kammeroper sind mehrere Fassungen und Manuskripte erhalten, die das Werk in unterschiedlichen Stadien vor und nach der Zensur dokumentieren. Bei Schott ist vor Kurzem eine Studienpartitur der Edition Eulenburg (ETP 8067) erschienen, in der alle überlieferten Varianten des Werkes enthalten und einander gegenübergestellt sind.

Foto: Deutsche Oper am Rhein / Hans Jörg Michel

Werk der Woche – Viktor Ullmann: Der Kaiser von Atlantis

Two new productions of Viktor Ullmann´s one-act chamber opera The Emperor of Atlantis or Death’s Refusal are opening in Germany this week. On 26 September the opera opens at Landestheater Neustrelitz, and on 27 September Deutsche Oper am Rhein will present a new production at Opernhaus Düsseldorf. With its compact cast of characters and instrumentation, as well as its timeless staggering subject matter, it is the piece of the hour. 

The opera is a parable of a cruel emperor, whose senseless war is claiming many lives. Death puts an end to the chaos by refusing his duty – now, everyone lives for eternity. The king becomes disempowered, but the people long for a release from the pain of life. Only the voluntary death of the emperor can restore death’s original purpose.

Ullmann wrote The Emperor of Atlantis while imprisoned at the Theresienstadt concentration camp in 1943, based on a libretto by Peter Kien, a fellow prisoner. The opera was rehearsed by a chamber ensemble founded with the permission of the SS, but its performance was prohibited after the final rehearsal. Just before his deportation to Auschwitz in 1944, Ullmann handed the score and libretto to a friend who was able to save both manuscripts.

Viktor Ullmann – The Emperor of Atlantis: a theatrical memorial


I composed quite a lot of new music in Theresienstadt, mostly for satisfying the demands of conductors, directors, pianists, singers and thus for the leisure activities in the Ghetto […]. I need to emphasize that my musical work was encouraged and not inhibited by Theresienstadt. We were not merely succumbing to grief at Babylon’s streams, and our cultural will was equal to our will to live; and I am convinced that all those who have attempted to shape reluctant material in either life or art would agree with me. – Viktor Ullmann

There will be two further performances at Landestheater Neustrelitz with the last night being presented on 24 October. In Düsseldorf, the Deutsche Oper am Rhein will run for a further eight performances until 19 November. Several versions and manuscripts of the opera are available that show the work in various stages before and after its censorship. A new Eulenburg study score from Schott (ETP 8067) shows each version together in one edition.

photo: Deutsche Oper am Rhein / Hans Jörg Michel

Werk der Woche – Toshio Hosokawa: The Flood

In der Philharmonie de Paris findet am 16. September die Uraufführung eines neuen Werks von Toshio Hosokawa statt. Das Ensemble intercontemporain unter der Leitung von Matthias Pintscher präsentiert The Flood, ein Ensemblestück, das gemeinsam mit dem Ojai Music Festival bei dem japanischen Komponisten in Auftrag gegeben worden war. Eigentlich hätte es schon im Juni bei dem kalifornischen Festival erstmals gespielt werden sollen; wegen der Corona-Pandemie musste die Veranstaltung jedoch ausfallen. 



In The Flood setzt Hosokawa die Verarbeitung eines japanischen Traumas fort. Bereits in mehreren seiner jüngeren Werke befasste er sich mit dem Tōhoku-Erdbeben von 2011 und der daraus resultierenden Tsunami-Katastrophe. Für Hosokawa und die Kultur Japans bedeutete dies einen Einschnitt im Verhältnis von Mensch und Natur, das zuvor von Bewunderung und Liebe geprägt war, die sich in Furcht und Skepsis verwandelten. 

Toshio Hosokawa – The Flood: im Zweiklang mit der Natur


Das Ensemble intercontemporain stellt The Flood in den Kontext seines Projekt “Genesis”, in dem es das achte neue Stück mit Bezug zur Schöpfung ist. Hosokawa setzt die Wasserwellen hier in Schallwellen und -wirbel um, die sich mit Crescendo und Decrescendo wiederholen und durchdringen und versucht damit, Angst und Verzweiflung im Angesicht der entfesselten Natur zu illustrieren.
Die Flut ist den Japanern gut bekannt; nicht nur der Tsunami im Jahr 2011, sondern auch Taifune, starker Regen und Überschwemmungen haben uns häufig getroffen. Wütende Fluten zeigen uns die Kräfte der Natur und erfüllen uns gleichzeitig mit Angst, Ehrfurcht und Respekt.  Toshio Hosokawa


 

Fotos: Kazuko Ishikawa, Adobe Stock / Lichtbildmaster

Werk der Woche – Jörg Widmann: Zeitensprünge

Auf eine stolze Geschichte von 450 Jahren blickt die Staatskapelle Berlin zurück. 1570 wurde sie als “Kurfürstliche Hofkapelle” erstmals urkundlich erwähnt. Für den Festakt am 11. September 2020 hat das Orchester Jörg Widmann mit der Komposition eines neuen Werks beauftragt. Zeitensprünge heißt die neue Komposition, die nun unter der Leitung von Daniel Barenboim in der Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt wird. 

Auf musikalische Zeitreisen und auf stilistische Seitensprünge verweist Widmann mit seinem vielsagenden Titel. Denn in Zeitensprünge nimmt er immer wieder die Ästhetik verschiedener Epochen in der Geschichte des Orchesters in den Blick: Gleich am Anfang spielt ein Ensemble hinter der Bühne einen Renaissance-Tanz, etwa im Stil von Tilman Susato. Erst nach dem die Musizierenden nach und nach die Bühne betreten, wird das Dirigieren “erfunden” und ein Konzert nach heutigem Verständnis entspinnt sich.

Jörg Widmann – Zeitensprünge: ein Konzert für Orchester en miniature


Auf 450 Takte, symbolisch für das Alter des Orchesters, und damit 10 Minuten Spielzeit beschränkt sich Widmann. Doch darin verbirgt sich ein vielgestaltiges und vollgültiges Konzert für Orchester. Alle Instrumentengruppen erhalten Solopassagen, es gibt Teilensembles wie Fanfaren, mittelalterliche Bläsermusik und Gamben-Consorts sowie eine Fülle musikalischer Formen bis hin zum Kanon, der wie keine andere den Einklang der Vielen symbolisiert. 
Wenn ich vor dem Notenblatt sitze, denke ich nicht unaufhörlich: Du musst etwas Neues erfinden. Überhaupt nicht. Ich habe viele Harmonien im Kopf, die es noch nicht gab, Zusammenklänge, Kombinationen. Mein Problem ist es, dafür eine Form zu finden. Ich bin in einer Phase, wo ich mir neue Formen erkämpfe. - Jörg Widmann


Fotos: Marco Borggrve, Adobe Stock / spuno

Work of the Week – Jörg Widmann: Zeitensprünge

The Staatskappelle Berlin celebrates its impressive history as it marks its 450th anniversary this year. The earliest sources mentioning the orchestra date from 1570. On 11 September, the world premiere of a new work by Jörg Widmann commissioned specially for the occasion, Zeitensprünge (Leaps in time), will be given in a concert conducted by Daniel Barenboim at the Berlin State Opera House. 

The title Zeitensprünge is a pun about musical time-travel and stylistic escapades. Widmann explores the multiple stylistic periods through which the orchestra has lived during its long history, with the opening bars featuring an off-stage ensemble playing renaissance dances. Only when the musicians enter the stage does the idea of conducting start to take form, and a concert of today’s understanding commences. 

Jörg Widmann – Zeitensprünge: A Concerto for Orchestra in a nutshell


Though Zeitensprünge is a condensed 10-minute orchestral work of only 450 bars (one for each year of the Staatskapelle´s history), it nevertheless has everything a full-scale Concerto for Orchestra needs. There are solos from nearly every section of the orchestra, ensembles such as fanfares emerge from the texture, medieval winds and consorts play next to each other, and Widmann uses a variety of musical forms to lead to a brilliant final canon that symbolises many becoming one. 
“When I sit in front of a sheet of manuscript paper, I don’t keep thinking ‘you have to invent something new’. Not at all. My head is full of harmonies, connections and combinations that have never been heard before. My problem is to find forms for them. I am now in a stage of fighting to find these new forms.” - Jörg Widmann 


Photos:Marco Borggrve, Adobe Stock / spuno

Werk der Woche – Christian Jost: Concerto noir redux

Das Konzerthaus Berlin feiert in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass hat Christian Jost ein neues Violinkonzert geschrieben. Beim Musikfest Berlin wird das Concerto noir redux nun uraufgeführt. Solist am 6. September ist Christian Tetzlaff. Das Konzerthausorchester Berlin begleitet ihn unter der Leitung von Christoph Eschenbach.

Ursprünglich sollte Josts zweites Violinkonzert den gleichen Titel tragen wie seine Oper “Reise der Hoffnung - Voyage vers l'espoir”. Nachdem die Proben zu ihrer Uraufführung in Genf im März abgebrochen werden mussten, orientierte sich Jost bei der Komposition um. Nun sollte das Konzert der neuen Situation, dem Shutdown und der Corona-Krise Rechnung tragen.

Christian Jost – Concerto noir redux: Violinkonzert aus dem Shutdown


Nicht nur der Grundcharakter wurde ein anderer, auch die Orchesterbesetzung musste verkleinert werden. So gibt es nun ein Concerto noir und die reduzierte Fassung Concerto noir redux

Normalerweise komponiere ich mit einer klaren Vorstellung der Form und des Klanges, also des kompletten strukturellen Verlaufs der Komposition. Nicht so bei diesem Werk. Die Idee des unmittelbaren Anfangs, dass sich aus dem Unisono der ersten Violinen mit der Solostimme, diese herauslöst, war meine einzige Vorgabe. Von dort ausgehend sollte das Werk quasi übernehmen und die Komposition leiten. So entstand eine einsätzige organische Struktur, die von drängenden rhythmischen Zellen geprägt und mit nur einer Tempoangabe versehen ist: Viertel 76 espressivo. Die Komposition vollendete ich quasi mit dem Ende des Shutdowns und da diese in Farbe und Ton eher ein dunkel gefärbtes Werk entstehen ließ, schien mir der Titel “Concerto noir“ perfekt.  Christian Jost

Illustration: Adobe Stock / lakkot, Joe Quiao

Work of the Week – Christian Jost: Concerto noir redux

2020 is the 200th anniversary of the Berlin Konzerthaus, a concert hall that started life as a theatre. In celebration of this anniversary as part of Musikfest Berlin, Christian Tetzlaff will perform the world premiere of a new violin concerto by Christian Jost on 6 September. The concerto, entitled Concerto noir redux, will be accompanied by Konzerthausorchester Berlin and conducted by Christoph Eschenbach. 

Concerto noir redux was originally intended to bear the same title as his opera Journey of Hope - Voyage of Despair. However, after the cancellation of the original premiere in March 2020, Jost chose instead to make changes to the music in response to recent events.

Christian Jost – Concerto noir redux: music from the lockdown


The result was not only a smaller orchestra, necessitated by social distancing, but a work that expresses a darker character and soundworld. Concerto noir redux is now one of two versions of the work Concerto noir, each with the same solo part.

Usually, I compose with a clear idea of the musical structure and of the sounds, and therefore of the course of the resulting work. But this time it was different. There was an initial thought for the opening in which the solo violin gradually separates from unison with the first violins. From this starting point the work should virtually compose itself. The resulting single-movement concerto with a single tempo (quarter = 76 espressivo) is driven by rhythmic ‘cells’. I completed the composition more or less simultaneously with the end of the lockdown, and since this had given rise to a work with predominantly dark shades of colour and sound, I considered Concerto noir to be a perfect title. Christian Jost

Photos: Adobe Stock / lakkot, Joe Quiao